Fliegen lernen, Wurzeln schlagen
Rebecca Clopath ist marmite-youngster-Finalistin der ersten Stunde. Zwölf Jahre nach der Premiere wollten wir von ihr wissen, wer sie damals war und wer sie heute ist. Als Antwort hat uns die Naturköchin in den Bergwald bei Lohn GR geführt.
Eigentlich ist Ende September der falsche Zeitpunkt, um im alpinen Wald noch Verwertbares für die Küche zu finden. Vieles wurde von den Vögeln gefressen, vermodert, überreif im Unterholz oder ist schon wieder verschwunden. Das eine oder andere Eierschwämmchen, etwas Sauerklee und ein einsames Walderdbeerchen – mehr offensichtlich Ess- und Sammelbares finden ungeübte Augen an diesem Nachmittag nicht im Wald. Müssen sie auch nicht. Rebecca Clopath und ihr Team haben für dieses Jahr bereits alles, was der Wald hergeben mag, gesammelt und auf verschiedene Arten konserviert. Ihre Sammelsaison beginnt im Mai und endet im September.
Ende Sommer sind auf dem Hof Taratsch, wo Rebecca Clopath aufgewachsen ist und heute wirkt, auch die gröbsten Arbeiten in der Landwirtschaft abgeschlossen. Nun beginnt die Saison der Esswahrnehmungen. So nennt die Naturköchin ihre mehrstündigen kulinarischen Events. Diese führen zwischen Oktober und Mai von Donnerstag bis Sonntag regelmässig bis zu 16 Personen ins kleine Dörfchen Lohn am Schomserberg.
Die Esswahrnehmungen sind Rebecca Clopaths kulinarisches Konzept. Eine Form, für die es wenig Vergleichbares gibt: Sie sind weder Restaurant noch Workshop, weder reines Schlemmen noch allzu verkopft. Die Nachmittage auf der Terrasse, am Feuer und in der Stivetta des Hofs sind sinnliche, thematisch angelegte Reisen zu den kulinarischen Genüssen des Alpenraums, gespickt mit Staunens- und Wissenswertem, Poetischem, Schönem und Kunst.
Bei unserem Besuch sind Rebecca Clopath und ihr Team gerade noch an den letzten Vorbereitungen für die nächste Runde Esswahrnehmung: den eigenen Raclettekäse räuchern, Weinbergpfirsiche einmachen, hausgemachten Wermut mit Muskatellersalbei abfüllen und Schlehen dampfentsaften.
Fast nebenbei schmoren in der Glut in einem Feuerring Kürbis, Äpfel und Kohl fürs Teamessen am nächsten Tag. Wer etwas länger auf der Terrasse vor der winzigen Küche steht, riecht bald nach Rauch. Rebecca Clopath bespricht derweil letzte Aufgaben mit ihren Leuten, geht sich umziehen und ist kurz darauf bereit, uns in den Wald zu führen. Man merkt: Den Umgang mit Medienleuten ist sie gewohnt. Ihre Sätze sitzen, vor der Kamera hat sie keine Scheu. «Ich mache das seit acht Jahren», erklärt sie. «Irgendwann hat man es intus. Das ist Teil meines Jobs. Und es ist schön, zu merken, dass es interessiert, was wir machen. Doch es ist auch ein sehr zeitintensiver Teil des Jobs, der mich oft auch aus dem Drive in der Küche holt.»
Momentan bekomme sie sehr viele Anfragen für Zusammenarbeiten und Medienbeiträge, erzählt Clopath. Vermehrt auch internationale wie für die Teilnahme an der Rolling-Pin-Convention in Graz oder der Andorra Taste. Inwiefern sie Internationalität denn anstrebe, wollen wir wissen. «Ich lebe von den Esswahrnehmungen. Da sage ich natürlich nicht nein, wenn sich plötzlich ein erweitertes Publikum für meine Arbeit interessiert.>
Dann kommt uns ein Mitarbeiter Clopaths entgegen. Er kümmert sich gemeinsam mit ihrem Vater um die Landwirtschaft auf dem Hof. Soeben war er bei den Kühen, die momentan noch zwischen Alp und Dorf auf der Weide stehen. Er tauscht sich kurz mit Clopath aus. Die Naturköchin steht zwar nicht mehr jeden Morgen im Stall, die Geschehnisse rund um Hof und Tiere beschäftigen sie dennoch jeden Tag. Denn Gastronomie und Landwirtschaft funktionieren für die 35-Jährige nur eng verknüpft: «Meine Kochphilosophie beginnt bereits beim Boden, bei der Saat und biologischen Kultivierung von Gemüse und Feldfrüchten sowie der respektvollen Haltung der Tiere. Landwirtschaft und Gastronomie sind für mich ein Kreislauf. Die Grundlage, dieses Kreislaufs ist die Natur, die Landschaft, die alpine Welt, die uns umgibt.»
Im Wald, wo wir uns mittlerweile befinden, zeigt Rebecca Clopath auf den Boden. Es geht sich weich auf ihm, und er knistert unter unseren Schuhen. «Das ist mein Lieblingsboden», sagt sie und hält sich eine Handvoll Waldboden unter die Nase. Es riecht waldig, dunkel, erdig, tief, aber doch irgendwie frisch. In ihrem Esswahrnehmungs-Zyklus «Texturen der Alpen» hat Clopath dem Bergwaldboden ein Gericht gewidmet. Es trägt den Namen Erdreich.
Es sei ja nicht so, dass sie den Waldboden verkoche, will die Naturköchin klargestellt haben. «Ich rekonstruiere lediglich die Gerüche, Aromen und Texturen, die ich im Waldboden finde», erklärt sie und zerreibt etwas dunkle Waldboden-Erde zwischen den Fingern. «Dieses Cremige, Schwere und Dunkle fasse ich in einer Selleriecreme mit Lupinen.
Die knisternde Nadelschicht wird zum leicht salzigen Farina-Bona-Crumble mit Fichtensamen. Salziger Joghurtschaum mit Lärchenpulver stehen für die frische Note, die man in diesem Boden so gut riecht.»
Und dann kommt der wirkliche Wald im Gericht: Zapfenlamellen von Fichte, Arve, Lärche (alle unterschiedlich konserviert), kleine männliche Arvenzapfen, eingelegter Baumbart, etwas Sauerklee und für minime aber ganz klare Säurepunkte: drei schockgefrorene Ameisen. «In jeder meiner Esswahrnehmungen gibt es einen Gang zum Nachdenken. Ein Gericht, bei dem man sich darauf konzentrieren muss, was im Mund passiert und das unsere Essgewohnheiten sanft strapaziert. Erdreich ist so ein Gang.»
Mit klebrigen Fingern vom Harz und einzelnen trockenen Fichtennadeln in den Schuhen sind wir mittlerweile auf dem Rückweg ins Dorf. Ob sie sich noch an ihre Teilnahme am marmite youngster erinnern könne, wollen wir von Clopath wissen. Sie rechnet: «Zwölf Jahre ist das her! Ganz ehrlich: Ich erinnere mich nicht mehr wirklich.» Damals, Clopath war Chef Entremetier bei Stefan Wiesner, habe sie sich ausprobiert: «Ich habe an den Swiss Skills teilgenommen, bin irgendwie ins Junioren-Nationalteam geschlittert, und wir haben 2010 den WM-Titel geholt. Kurz darauf beschloss ich, auch noch beim marmite youngster mitzumachen.
Ich wollte rausfinden, wie ich ohne Team in so einem Setting funktioniere.» Und welche Antworten hat sie damals gefunden? «Ich habe herausgefunden, dass ich nicht gemacht bin für ein Gegeneinander. Das Kompetitive ist nichts für mich. Ich habe vielmehr das Bedürfnis, in Gemeinschaft Gutes und Sinnvolles zu schaffen.» Das sei auch der Grund, dass sie sich gegen das tief verwurzelte Konkurrenzdenken und Wertesystem in der klassischen Gastronomie wehre. «Das möchte ich nicht bei mir haben. Ich will zeigen, dass es auch ohne geht und es scheint zu funktionieren: Man interessiert sich für uns, obwohl wir nirgends irgendwie bewertet werden.» Kurz vor dem Dorfeingang schliesslich bleibt Rebecca Clopath stehen, zeigt um sich und meint: «So arbeite ich heute. Das bin ich. Hier schliesst sich der Kreis.>>
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